Gabriela Reich

Mit meinen beiden Söhnen (2001 und 2006) lebe ich im alten Dorfkern von Balgach, im St. Galler Rheintal. Ich stehe an einem Punkt in meinem Leben, an dem alles geschehen kann. Ich habe zurzeit keinen Beruf, ich habe keinen Partner und ich habe einen "neuen" Körper. Wobei er ja nicht neu ist, nur halte eben anders.

Manche begleiten mich durch die socialmedia-Welt, lesen meine Beiträge, sehen sich meine Fotos an und fragen sich: Was ist bloss los? Nachfolgend meine möglichst kurz gefasste Geschichte...

Vor ziemlich genau zwei Jahren (im Herbst 2015) bemerkte ich zum ersten Mal, dass in meinem Bauch irgendetwas komisch ist. Ich konnte nicht erklären, was genau oder wo – es fühlte sich an, als hätte ich ein Flatterwesen da drin. Da ich mit Sicherheit wusste, dass ich nicht schwanger bin, dachte ich, dass vielleicht Luftblasen durch den Darm gehen und die sich so anfühlen. Vorbeugend trank ich viel Fenchel-Ingwer-Tee, achtete auf Verdauung und auf Niere-Blase. Das Flattern wurde wieder weniger und ich vergass die Sache wieder. Bis es gegen Ende des Jahres wieder auftauchte. Hinzu kam, dass ich schnell erschöpft war. So oft wie möglich legte ich mich hin um ein bisschen auszuruhen, was jedoch nicht wirklich etwas brachte. Zudem ging mein Gewicht stetig in die Höhe und meine Hosen sassen nicht mehr so locker um die Hüften.

 

Ende Dezember wurde aus einer Erkältung eine Grippe von der ich mich nur langsam erholen konnte. Dass die Gelenke, Muskeln und sogar die Knochen schmerzten, veranlasste meinen Arzt mich zum Rheumatologen nach St. Gallen zu schicken, der mich jedoch mit «Essen sie weniger, bewegen sie sich mehr und  hören sie auf zu rauchen» wieder ins Rheintal zurück schickte.

 

Mein Zustand verschlechterte sich stetig. Das Gewicht stieg, die Kleider wurden alle zu klein, was vor allem an die Psyche ging. Die ständige Müdigkeit tat ihres dazu mich davon zu überzeugen, dass ich ein grosses, grosses psychisches Problem haben musste. Ein burn-out? Ja, wovon denn?

 

Anfang März gingen die Kinder ins Skilager und kamen mit der Magendarmgrippe wieder zurück. Bei mir dauerte die einfach nicht nur drei Tage sondern zwei Wochen und am 1. April 2016 ging ich zum Arzt, weil mein Bauch riesig gross war, extrem gespannt und es weh tat, wenn ich ihn einklemmen musste (beim Sitzen, beim Bücken). Er verordnete ein CT, das ich am selben Tag machen konnte. Am Abend sass ich wieder bei ihm in der Praxis und er erklärte mir, dass ich neben einem ziemlich stattlichen Gallenstein auch noch einen handballgrossen Borderline-Tumor am Eierstock hätte.

 

Borderline-Tumor: Das ist ein Geschwür, das noch nicht weiss, ob es gutartig oder bösartig ist. Im Anfangsstadium ist es gutartig. Das Geschwür sieht aus wie ein Ballon mit einer gallertartigen Masse gefüllt. Mein Tumor (genannt Tom) war noch gutartig.

 

Die Erleichterung, die durch meinen Körper schoss, war unendlich. Es war alles nicht meine Schuld. Ich hatte nicht zugenommen weil ich zuviel gegessen hätte (was ich tatsächlich nicht hatte) und ich war nicht müde, weil ich überfodert mit dem Leben bin, sondern weil dieser Tumor mir alle Energie abgezogen hatte! Und: es war kein Krebs. Nur ein Tumor. Aufschneiden, rausnehmen, zunähen und gut wäre die Sache.

 

Gesagt, geplant. Doch aus unerfindlichen Gründen hatte ich urplötzlich enorme Schmerzen, so dass die Operation vorgezogen werden musste. Diese lief nach Plan und die Tage auf der Station auch, schon bald durfte ich wieder nach Hause.

 

Zehn Tage später wurden die ersten Klammern aus der 25cm langen Wunde genommen. Ein paar Stunden später fühlte sich meine Hose an, als hätte ich gepinkelt. Die Flüssigkeit war klebrig und kam aus der Wunde. Es hatte sich ein sogenanntes Serom gebildet. Eine Höhle unter der Wunde die sich mit Flüssigkeit füllt, was das zusammenkleben und verheilen des Gewebes unmöglich macht. Das bedeutete für mich: alle zwei Tage zum Arzt um die Wunde zu reinigen und die Flüssigkeit herauszutupfen und wieder verbinden.

 

In dieser Zeit geschah die Sache mit dem Kofferraum-Deckel. Das war am 26. Mai 2016 – ich zog den Deckel herunter und spürte direkt unter der Brust einen seltsamen Schmerz. Als wäre etwas gerissen. Ein paar Tage später tat das wahnsinnig weh und mein Arzt kontrollierte das Blut. Das Ergebnis liess ihn mich sofort ins Krankenhaus schicken. Meine Entzündungswerte waren auf 186 gestiegen (normal ist 5-10, mit einer Grippe um die 25 und ab 50 wird’s schon kritischer) und die Schmerzen wurden stärker.

 

Im Notfall liess man mich drei Stunden warten, bis jemand Zeit hatte, mich zu untersuchen. Mein grosser Sohn hatte mich begleitet. Er musste mir drei Stunden lang zusehen, wie ich weder sitzen noch richtig stehen konnte. Hilflos wartete er mit mir. Dann endlich kam jemand und ich wurde an die Antibiose gehängt. Ich möchte hier noch erwähnen, dass ich angemeldet war. Die wussten, wie hoch die Werte waren und die wussten auch, dass ich Schmerzen haben. Sie haben es mir nur nicht geglaubt. Die dachten (und das wurde mir später erzählt), dass ich glauben würde, die Entzündung würde weh tun.

 

Es dauerte weitere 25h bis endlich ein Ultraschall gemacht wurde. Die Gynäkologin sagte: Da ist Flüssigkeit… notierte es jedoch nicht und sah auch nicht weiter nach. Man erklärte mir, dass das Periodenschmerzen wären. Unter der Brust. Klar.

 

Dennoch schien die Antibiose zu helfen, drei Tage später ging es mir wieder gut.

 

Wir entschieden uns, das Serom operativ entfernen zu lassen im Spital Altstätten. Diese Sache wurde zu einer meiner schlimmsten Erfahrungen. Da der Operateur gepfuscht hatte beim Entfernen und beim zunähen, wurde es für mich nur noch schlimmer. Mein Bauch hing so weit hinunter, dass ich ihn beim Treppensteigen auf meine Oberschenkel klatschen fühlte und hörte. Das Serom war nicht vollständig entfernt worden, was eine grusige Wunde gab und die Heilung nicht möglich war. Das tat auch ziemlich weh. Es war Ende Juli und ich musste wieder ins KSSG um diesen Pfusch in Ordnung zu bringen. Die Vorbesprechung. Der Gallenstein war übrigens immer noch drin.

 

Am 1. August 2016 lag ich auf dem Rücken, hatte meine Hände auf den Bauch gelegt, als ich plötzlich husten musste. Dabei spürte ich, wie etwas hervorsprang und ich hatte plötzlich einen weiteren kleinen Hügel auf meinem Bauch. Am 2. August 2016 bestätigte der Arzt einen Oberbauch-Bruch, eine Hernie.

 

Ein paar Tage später war dann die Operation in der mir der Blinddarm, der zweite Eierstock und das Bauchnetz entfernt wurden und ein grosses Stück kaputtes Gewebe, was am Ende meinen Bauch straffte. Ich war danach sehr glücklich, obwohl der Gallenstein immer noch drin war und die Hernie auch noch nicht geflickt war. Man sagte mir, in einem halben Jahr würde man das dann machen.

 

Für drei Tage hatte ich einen schönen Bauch. Dann wurde die Hernie grösser und immer mehr vom Dünndarm quoll heraus. Was ich vom August 2016 bis zur Operation im März 2017 alles erlebte, prägte meine Kinder und mich. Es veränderte mein Leben komplett. Es war eine schlimme Zeit, vor allem für die Psyche. Körperlich war es überhaupt nicht einfach. Ich war zwar soweit gesund, und doch war ich krank.

 

Die Operation im März brachte dann diese Dinge wieder in Ordnung. Endlich wurde der Gallenstein entfernt und das grosse Loch in meinem Bauch wieder verschlossen. Das war eine ziemlich grosse Operation bei der das eine und andere schief ging. Die zwei Tage auf der Intensivstation sind in einem dichten Nebel verschwunden und die Tage auf der Station – da waren vor allem Schmerzen. Dennoch durfte ich sehr bald nach Hause. Ich erholte mich ziemlich gut und als dann die Einniste-Schmerzen von Organen und Muskeln begannen, wartete ich geduldig bis es vorbei war. Dann kamen schon die ersten Klammern raus und, wer hätte es gedacht? Flüssigkeit kam aus der Wunde.

 

Die Grösse des Seroms wurde mit einem Ultraschall gemessen. Es war 23cm lang, 11cm breit und 3cm tief. Ein riesiger See unter der Wunde. Mit dem Operateur wurde besprochen, dass wir das mit einem VAC-Verband zu lösen versuchen, da es eine kleine Öffnung in der Wunde hatte. Da die Öffnung dann doch ein bisschen zu klein war für den Schaumstoff, wurde sie mit einer Pinzette aufgerissen, wobei ein Nerv verletzt wurde. Nun hatte ich einen offenen Nerv am Wundrand, an dem alle drei Tage herum gemacht wurde. Schaumstoff raus, reinigen, Schaumstoff rein und verschliessen. Diese Schmerzen waren sehr unangenehm. So unangenehm dass ich in der zweiten Nacht den Schaumstoff selbst entfernte und danach umkippte, weil das so weh getan hatte. Am nächsten Morgen stank die Wunde ekelhaft und ich wurde nach Zürich zu meinem Operateur geschickt, der den Eingriff noch am selben Tag machte. Nach der OP zweifelte ich daran, dass da was gemacht wurde, weil es immer noch schmerzte. Er erklärte mir am nächsten Morgen, dass er nekrotisiertes Gewebe entfernt hatte. Nekrotisierend – absterbend! (Untergang des Gewebes). Doch der Nerv, der war immer noch offen. Natürlich!

 

Zwei Tage später wurden die Schläuche entfernt, weil das Serom soweit geleert war, dass es anfangen konnte zu verkleben und zu verheilen. Für den restlichen Teil wurde mir wieder ein VAC-Verband gemacht. Der Schaumstoff wurde in die Wunde gestopft, der Saugnapf draufgepappt und alles luftdicht verklebt. Dann wurde das Gerät eingeschaltet und der Sog auf dem geplagten und gereizten Nerv liess mich ohnmächtig werden vor Schmerzen. Ich musste aufstehen und ging zwei Stunden lang herum um mich von dem Schmerz abzulenken. Es gelang mir nicht. Im Gegenteil. Ich heulte und schrie vor Schmerzen – ich verlor kurzzeitig meinen Verstand. Ich wimmerte und bettelte – es machte mich verrückt. Endlich hatte man erbarmen und ich bekam Oxycodon. Was einen grossen Teil des Schmerzes betäuben konnte. Jedenfalls für ein, zwei Stunden pro Tag.

 

Die nachfolgende Zeit war die schlimmste Zeit meines Lebens. Das war der Ritt durch die Hölle. Sechs Wochen lang hatte ich einfach nur Schmerzen. Ich lag auf dem Sofa und wimmerte, schrie und weinte – das trotz Oxycodon. Meine Kinder litten furchtbar unter der Situation und ich – kann mich an nichts aus der Zeit erinnern.

 

Die Auffahrt 2017 stand vor der Tür. Zu der Zeit musste der Verband zweimal pro Woche gewechselt werden, was jedes Mal eine 90minütige Tortur war. Sehr viel Lidocain wurde gebraucht, nur schon damit man mich überhaupt anfassen konnte. Ich habe sehr viel Schweiss und Tränen verloren bei diesen Wechsel. Und nach dem Wechsel ging es mir noch viel schlechter. Das war gemein. Der erste Tag war schlimm, der zweite schon weniger und am dritten ging es mir schon fast gut. Dann musste ich wieder zum Wechsel… jedenfalls, Auffahrt stand wie gesagt vor der Tür. Die Praxis war geschlossen und die Betreuerin hatte auch Frei. Ich hatte keine andere Wahl, ich musste nach Altstätten ins Spital. Für den Montag hatte ich einen Termin.

 

Doch… am Samstag stieg das Gerät aus und wenn das geschah musste es sofort entfernt werden. Also fuhr ich nach Altstätten in den Notfall, weil die da ja schon von mir wussten. Ehrlich gesagt, ich hatte Angst und meine tiefe Abneigung gegen dieses Spital machte es nicht besser. Als ich im Notfall ankam und die gute Frau mir da sagte, sie hätte keine Ahnung von dem Ding und ich müsse halt warten bis sie jemanden gefunden hätte, der wüsste, und das könne dauern, dachte ich: «War ja klar!», ich wollte schon gehen, als Gerda Jank um die Ecke kam und meinte: «Ich weiss was das ist, kommen sie mit. Ich kann ihnen helfen!» - war ich erleichtert. Sie nahm sich viel Zeit und arbeitete sehr fein und geduldig bis sie das Ding entfernt hatte. Der Arzt und sie besprachen sich und fanden, dass sie keinen neuen VAC-Verband anlegen würden, sondern ein einfacheren Verband mit saugfähigem Material. Damit wollten sie erreichen, dass ich mich ein wenig erholen konnte und der Nerv sich ein wenig beruhigen konnte – was beides auch wirklich geschah. Zwei Wochen später kam der VAC-Verband wieder zum Einsatz. Das Serom war noch 7cm lang, 3cm breit und 2,5cm tief. Zwei Öffnungen wo Schaumstoff reingesteckt werden konnte. Nach ein paar Tagen gab es eine weitere Öffnung. Die Sache sah aus wie eine Flöte. Das Verbandsmaterial musste eingefädelt und durchgezogen werden. Niemand konnte auf den Wundgrund im Tunnel sehen, doch es sah aus als würde es funktionieren. Die Blutwerte blieben stabil, die Schmerzen wurden stetig weniger – ich fühlte mich schon sehr viel besser. Dann wurde entschieden, die «Flöte» aufzuschneiden, damit der Verband richtig eingelegt werden konnte und auch für die Sichtbarkeit des Wundgrundes. Für mich bedeuete das nochmal drei Wochen ziemlich heftige Schmerzen, aber dann wurde es endlich sichtbar und spürbar besser. Am 21. September 2017 wurde der VAC-Verband entfernt und nur noch ein Pflaster drauf geklebt. Die Wunde wurde schnell kleiner, akutell sind es noch 3cm Haut die zuwachsen müssen. Dann darf ich endlich wieder duschen und baden! Und wenn ich ins Hallenbad darf, wird das ein ganz besonderer Tag für mich sein…

 


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